Hier gilt im Besonderen, was allgemein als selbstverständlich akzeptiert wird: Man muss diese Musik, diese ganz spezielle Art von Musik mögen. Speziell ist sie nicht nur deshalb, weil sie erst vor wenigen Jahren entstanden ist, genauer im Jahr 2015, also nicht schon Generationen vorher. Dazu kommt, dass der Isländer Jóhann Jóhannsson mit seiner Drone Mass in Klangregionen vorstößt, die zwar von anderen schon vorgeahnt wurden, so etwa von den prominenten Minimalisten Pärt oder Górecki, mit ihren extremen elektronischen Verfremdungen, fusioniert mit Gesang und akustischen Instrumenten jedoch Neuland betreten. Gewidmet ist die Drone Mass, bei der es sich beileibe nicht um eine Messe im herkömmlichen Sinn handelt, falls mit „Mass“ überhaupt eine Messe gemeint ist, dem international renommierten, auf zeitgenössische Musik spezialisierten American Music Ensemble (ACME), das zusammen mit dem unzeitig früh verstorbenen Komponisten über zehn Jahre erfolgreich zusammengearbeitet hat, einschließlich gemeinsamer internationaler Konzertauftritte. Angesichts der doch ungewöhnlichen Musik könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Deutsche Grammophon Gesellschaft mit der Aufnahme der Drone Mass im Jahr 2019 ein mittleres wirtschaftliches Risiko eingegangen ist. Das Gegenteil dürfte jedoch der Fall sein, ist es Jóhann Jóhannsson doch gelungen sich in überschaubarer Zeit nicht nur ein Fangemeinschaft aufzubauen, sondern einigen Ruhm und recht weit verbreitete Bekanntheit einzuheimsen. Auf sein 2006 erschienenes Debutalbum 4AD aus dem Jahr 2006, in dem er Passagen aus dem IBM-Computerhandbuch zitiert, folgten Hollywood-Erfolge wie seine Filmmusik für Denis Villeneuves Sicario. 2015 gewann er einen Golden Globe für seine Filmmusik zu James Marshs The Theory of Everything und ein Jahr später für seine Beiträge zu Villeneuves Arrival. Der Mann ist also kein Unbekannter, im Gegenteil. Deutsche Grammophon Gesellschaft dürfte mit dem Drone Mass also recht sicher einen Selbstläufer produziert haben.
Den Vokalpart auf dem Album Drone Masse steuert das Vokalensemble Theatre of Voices unter der Leitung von Paul Hillier bei, der das überaus erfolgreiche, mit einem Grammy-Award ausgezeichnete Ensemble, das auf alte und zeitgenössische Musik spezialisiert ist, im Jahr 1990 gegründet hat. Auf dem Album Drone Mass brilliert das Theatre of Voices mit seinem lupenreinen, vibratoarmen, überirdisch schönen Gesang. Jóhann Jóhannsson hat den Vokalpart liebevoll erstellt: Polyphoner Gesang misch sich mit Elementen des tibetanischen Obertongesangs und schillernde Vokalfarben bringen die Stimmen des Gesangsensembles ähnlich mysteriös zum Leuchten wie das Nordlicht die urtümliche isländisch Natur erglühen lässt.
Während die Partitur für die Gesangspartien klar definiert ist, ließ Jóhann Jóhannsson die Instrumentalparts weitgehend offen, was für die Musiker von wie ACME auf dem Album Drone Mass nach vielen Jahren der Zusammenarbeit mit dem Komponisten, in denen sie seine Absichten bis ins Detail kennengelernt haben kein Problem darstellt. Ein Höhepunkt des Albums ist die der mit „Take the night air“ bezeichnete Satz, der eine berührende Verschmelzung von elektronischen und vokalen Klängen darstellt, die ein Gefühl von schwerelos schwebender Emotion hervorrufen.
Mit Drone Mass hat Jóhann Jóhannsson ein Werk geschaffen, das in der kongenialen Ausführung durch ACME und dem Vokalensemble Theatre of Voices zwar nicht unbedingt für jeden Hörer und auch nicht unbedingt auf Anhieb seine spezielle Schönheit offenbart, das jedoch auch gegenüber zeitgenössischer Musik kritisch eingestellte Hörer bei längerer Beschäftigung mit diesem Sujet unvermeidlich in seinen Bann zieht.
Clarice Jensen, Musikalische Leitung, Cello
Ben Russell, Violine
Laura Lutzke, Violine
Caleb Burhans, Viola
Theatre of Voices:
Else Torp, Sopran
Kate Macoboy, Sopran
Signe Asmussen, Mezzosopran
Iris Oja, Alt
Paul Bentley-Angell, Tenor
Jakob Skjoldborg, Tenor
Jakob Bloch Jespersen, >Bassbariton
Steffen Bruun, Bass
Paul Hillier, Dirigent