Es gibt nur wenige Sänger, die auf dem Gebiet des Liedgesang etwas zu sagen haben. Will heißen, Sänger, die nicht nur wohltönenden Gesang abliefern, sondern die mit ihrer Liedinterpretation an die Substanz gehen und Inhalt vermitteln. Christian Gerhaher ist eine der wenigen, rühmlichen Ausnahmen, dem es gelingt Liedinhalt und -stimmung Inhalt zu transportieren. Das hat er bereits häufig auf dem Konzertpodium und vielfach auf Tonträgern nachdrücklich bewiesen. Vor Kurzem hat er überzeugend wie kein anderer den tragischen Handlungsverlauf in Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin auf einem Album festgehalten, das man jedem Anhänger des Liedgesangs nur ans Herz legen kann. Diese Aufnahme vermittelt bis zur letzten Note dieses genialen Werks aus der Feder von Franz Schubert eine Spannung, die mit einem gelungenen Krimi vergleichbar ist. Dagegen nimmt sich die unvergleichlich göttlich schön gesungene Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Hubert Giesen am Klavier wie eine zwar hochgradig realisierte, jedoch harmlose Erzählung aus. Die üblicherweise von einem Tenor gesungene Müllerin ist bei Christian Gerhaher, der einen hell timbrierten Bariton sein Eigen nennt, auch vonseiten der Stimmlage bestens aufgehoben. Keinesfalls gering zu schätzen für die Aussagekraft einer Liedinterpretation ist der Beitrag der Pianistin bzw. des Pianisten. Im Fall von Christian Gerhaher ist dies bei der Müllerin ebenso wie beim neuen Album Myrthen von Robert Schumann der kongenial zu Christian Gerhaher zu Werke gehende und seit vielen Jahren mit diesem zusammenarbeitende Gerold Huber. Bei diesem Gespann keine Rede sein von einem Klavierbegleiter. Vielmehr gestaltet hier der Pianist stets die Liedinterpretation gleichrangig zum Sänger mit. Gerold Huber verantwortet also die Substanz und den Inhalt der Lieder gleichrangig zum Beitrag des Sängers mit. Beiden, Sänger und Pianist sind Manierismen fremd, die z.B. beim Liedsänger Dietrich Fischer-Dieskau wohl nicht zuletzt der Zeit geschuldet an der Tagesordnung waren. Die zutiefst zu Herzen gehende Wirkung der Liedgestaltung der beiden Künstler beruht dagegen auf die Vermittlung echter Gefühle basierend auf Inhalt und musikalischer Gestalt der Lieder.
Dieser Ansatz der Liedgestaltung findet sich im aktuellen Album Myrthen wieder, das Bestandteil der geplanten Aufnahme sämtlicher Lieder von Robert Schumann bildet. Den sängerischen Beitrag zu für eine weibliche und eine männliche Stimme komponierten Mythen teilt sich Christian Gerhaher mit der von ihm sehr geschätzten schwedischen Sopranistin Camilla Tilling. Der Liederzyklus Mythen mit seinen 26 Liedern sind ein Brautgeschenk von Robert Schumann an Clara Wieck, die er nach einem unschönen langen Rechtsstreit mit Claras Vater im Jahr 1840 endlich heiraten konnte. In einem Interview des Deutschlandfunks schildert Christian Gerhaher, was für ihn dieser Liederzyklus bedeutet, und warum er die vorgegebene Aufteilung der Lieder für eine weibliche und eine männliche Singstimme beibehält: „… wegen dieser starken, doch auch viele Leute anrührenden Situation biografisch, dass hier ein Geschenk gemacht wird an die Braut mit einem kaleidoskopartigen Propädeutikum für die ganze zu erwartende, sich erfüllende Liebes- und Lebensgemeinschaft. Das ist schon etwas, was finde ich ein Liebesgeschenk und ein Liebesbeweis, der irgendwie fast ohne Beispiel ist.“
An diesem von den Sängern und dem Pianisten dank substantieller Inhaltsvermittlung überaus überzeugend gestalteten Album führt für den ernsthaften Anhänger des klassischen Liedgesangs kein Weg vorbei.
Christian Gerhaher, Bariton
Camilla Tilling, Sopran
Gerold Huber, Klavier