Vom Publikum seit seiner Premiere offenbar gleichermaßen hochgeschätzt wie von Geigenvirtuosen gerne vorgetragen, genießt das einzige Violinkonzert Beethovens den Status der Unberührbarkeit. Anscheinend unberührbar ist der romantische, in sich ruhende Interpretationsansatz, der sich im Laufe vieler Jahrzehnte festgesetzt hat und nicht selten gediegene Langeweile verbreitet, die als klassisch schön empfunden wird. Jedenfalls erwartet man im Falle des Violinkonzerts nicht das heroische Kampfgetümmel der Eroica oder das vehement an die Tür pochende Schicksal der fünften Sinfonie, also die andere, für diese Fälle akzeptierte wilde Seite Beethovens. Vielmehr erwartet der Zuhörer und offerieren die geigenden Solisten und begleitenden Orchester mit dem Violinkonzert eine sentimentale Seite des Bonner Komponisten, gewissermaßen als Verlängerung seiner beiden Romanzen für Violine und Orchester, die früher in keinem vom Rundfunk ausgestrahlten nachmittäglichen Sonntagskonzert fehlen durften. Dabei übersehen alle Beteiligten jedoch geflissentlich, dass Beethoven genau genommen keine sentimentale Seite besaß, sondern dass er unter allen Umständen ein wilder Komponist war, dem Sanftmut oder Sentimentalität allenfalls als kurz aufleuchtender Kontrast dient, um seine wilde Art noch wilder erscheinen zu lassen.
Wildheit erzeugt Beethoven durch eine mitunter raue Gangart, die er geschickt in Schönheit zu verpacken versteht. Bügelt man diese Rauigkeit glatt, wie dies bei den durch Aufnahmen dokumentierte Interpretationen seines Violinkonzerts zumeist der Fall ist, entfällt jeglicher jugendlich kämpferische Geist und es bleibt ein in romantischer Schönheit schwelgender Beethoven mit erheblichem Langeweile-Potential. Die neue Aufnahme des Beethovenschen Konzerts mit dem zwischenzeitlich fünfzig Jahre alten Christian Tetzlaff und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter seinem jungen Chef, Robin Ticciati zeigt das wahre Gesicht Beethovens. Es kommt als spannender, detailreich erzählter Kriminalfilm über den Hörer und reißt diesen wie ein ungestümer Tornado von den Füßen. Angesichts des bevorstehenden Beethoven-Jahrs ist diese völlig unsentimentale, stets energiegeladene und von Dramatik schier berstende Interpretation des Violinkonzert Beethovens nichts anderes ein Weckruf für geigende Kolleginnen und Kollegen, die eigene Interpretation des Beethovenkonzerts neu zu überdenken. Dieser Ansatz ist der vorläufige Höhepunkt im Verständnis dieses Konzerts durch Christian Tetzlaff, der sich bereits zweimal dem Abenteuer einer Aufnahme ausgesetzt hat, einmal mit dem Dirigenten Michael Gielen und später mit dem Dirigenten David Zinman in jeweils vergleichsweise konventionelleren Gangarten. Diese Aufnahmen zeigen noch nicht den tonlich markanten und fokussierten Ton, den der Geiger in seiner neuen Interpretation erfolgreich pflegt.
Die Kulturrevolution, die Christian Tetzlaff zusammen mit dem Dirigenten Robin Ticciati dieser Interpretation des Beethovenschen Violinkonzerts angedeihen lässt, wirft ihr helles Licht auch auf das Sibelius-Violinkonzert, dessen zerklüftete, gewaltige Klangmassen des ersten Satzes ob ihrer extremen Dynamik den Hörer schier erdrücken. Anstelle nicht selten in den Vordergrund gerückter, die Übersicht über die Klangmassen verschleiernder Dunkelheit erzeugen Solist und Orchester hier luftige Gespinnste und himmlisch funkelnde Klarheit, die die für Sibelius typische nordisch gefärbte Melancholie erträglich machen.
Beide Konzerte, in erster Linie jedoch das Beethovenkonzert profitieren enorm vom unverstellten, unvoreingenommenen, geradezu innovativen Zugang von Solist und Dirigent zu den Partituren dieser Werke. Eine, wenn nicht die Empfehlung eines Klassikalbums für das zu Ende gehende Jahr 2019.
Christian Tetzlaff, Violine
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Robin Ticciati, Dirigent