Dirigenten und Orchester sind zusammen mit dem Konzertpublikum einen weiten Weg gegangen vom bravem, plüschigen Papa Haydn Bild über den streng historisch aufgeklärten, mitunter spröden Haydn bis zum heutigen Haydn Bild, das sich dadurch auszeichnet, dass es die Sprödigkeit der streng historisch aufgeklärten Zeit hinter sich gelassen und durch größere Freiheit der Gestaltung ersetzt hat, die fern dem Papa Haydn Bild vor Lebendigkeit nur so sprüht und dabei vom Hemdsärmlichen bis zum Eleganten zahlreiche Zwischentöne zulässt. Exponenten des heutigen Haydn Bilds sind in erster Linie Kammerorchester, deren im Vergleich zu Sinfonieorchestern deutlich abgespeckte Besetzung dem plüschigen Papa Haydn von Natur aus ferner steht als Sinfonieorchester, deren Haydn schon wegen der großen Besetzung nicht selten zu schwergewichtig daherkommt und es schon daher eher schwer hat, sich vom Papa-Syndrom abzusetzen. Freilich gab es auch zu Zeiten überwiegend altmodischer Haydn-Interpretationen Ausnahmen vom zopfigen Mainstream, wie etwa die überaus elegante Sichtweise eines Thomas Beecham am Pult des Royal Philharmonic Orchestra, festgehalten Ende der fünfziger Jahre auf Tonträgern, und die etwa gleichzeitig auf Langspielplatte erschienen, schlanken, kammermusikalisch herrlich durchhörbaren Interpretationen eines George Szell mit seinem Cleveland Orchestra.
Zu den Kammerorchestern, die sich aktuell durch ein überaus spannendes Haydn-Bild hervortun, gehört das Münchener Kammerorchester, das soeben unter John Storgårds einen über mehrere Jahre verteilten Zyklus mit hinreißend frech und im besten Sinne bodenständig gestalteten Haydn Sinfonien abgeschlossen hat. Diese selbst für das kulturell verwöhnte Münchner Publikum außergewöhnlichen Konzerte wurden von Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten und ausgestrahlt. Mögen sie den Weg auf Tonträger finden oder als Downloads verfügbar werden.
Zum Glück gibt es den vor kurzem gestarteten Zyklus von Haydn Sinfonien mit dem Kammerorchester Basel unter Giovanni Antonini auf Tonträger und als Download. Von Glück darf deshalb die Rede sein, weil hier ein Haydn präsentiert wird, der wie im Falle des MKO vom historisch orientierten Ansatz ausgehend in Gefilde vordringt, die bei höchster Musikalität in Haydns sinfonischem Werk raffinierte Wendungen und Ausdrucksformen aufdecken, die dazu führen, dass diese Sinfonien in neuem Licht erscheinen lassen. Das ist in jedem Fall spannend und wird dem Genie Haydns gerecht, dessen Sinfonien qualitativ gerne hinter denjenigen eines Mozart eingeordnet werden, obwohl sie vor Einfallsreichtum geradezu überlaufen und nicht selten kompositorisch revolutionär sind. Und welcher klassische Komponist außer Josef Haydn hat es sonst auf die stattliche Anzahl von 104 Sinfonien gebracht, von denen zumindest die früheren dem Konzertpublikum so selten geboten werden, dass sie wie Erstaufführungen wirken. Ein Verdienst eines kompletten Zyklus von Haydn Sinfonien ist es deshalb immer, die Aufmerksam des heimischen Hörers auch auf diese Werke zu lenken. Sie haben das wahrhaft verdient.
Giovanni Antonini liefert die Sinfonien nicht nach Werknummern zusammengefasst ab. Vielmehr stellt er sie nach Themen zusammen. Das gerade erschienen Album, das sechste des Zyklus läuft unter dem Motto Choralsinfonien und stellt diejenigen Sinfonien zusammen, die Choralzitate offen oder auch geschickt in Mittelstimmen eingewoben aufweisen und im Fall der Sinfonie Nr. 30 im Untertitel offen bezeichnet: Halleluja-Sinfonie.
Spielwitz und Freude an der Gestaltung der Choralsinfonien durch das leichtfüßige und reaktionsschnelle Kammerorchester Basel unter Giovanni Antonini haben bei ihren Haydn-Interpretationen Hochkonjuktur: Man meint, die Musiker beim Spielen lächeln zu sehen, ein untrügliches Zeichen, der glückhaften Übereinstimmung von Dirigent und ausführendem Orchester. Übrigens ist die im Booklet genannte Konzertmeisterin Yuki Kasai, eine glänzende und temperamentvolle Geigerin, in derselben Position beim MKO in München tätig, einem Orchester, bei dessen Live-Auftritten man die Musiker häufig lächeln sieht, und das nicht nur bei der Aufführung von Sinfonien des Eisenstädter Meisters.
Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini, Leitung