Orchestre Philharmonique Royal de Liège & John Neschling - Respighi: Sinfonia drammatica, P. 102 & Belfagor Overture, P. 140

Review Orchestre Philharmonique Royal de Liège & John Neschling - Respighi: Sinfonia drammatica, P. 102 & Belfagor Overture, P. 140

Landläufig bekannt ist Respighi wegen seiner römischen Trilogie, Fontane di Roma, Pini di Roma und Feste Romane, wahre orchestrale Reißer, die aus den zwanziger Jahren stammend ähnlich den Monumentalfilmen der fünfziger Jahre im Breitwandformat à la Ben Hur breitbeinig daherkommen. Gerne bedienen sich Tontechniker ebenso wie die Hifi-Szene zur Demonstration des aufnahme- und wiedergabetechnisch Möglichen seit eh und je dieser sinfonischen Schlachtrösser des Italieners ob deren extremer Dynamik, die vom nahezu unhörbaren Pianissimo bis zum extremen Fortissimo hinaus über die Schmerzgrenze reicht. Dass Respighi auch Kammermusik, raffiniert strukturierte Orchestermusik und Opern geschrieben hat, geht im marktschreierischen Tumult seiner allseits bekannten und nachgefragten Trilogie nahezu flächendeckend unter.

Der Dirigent John Neschling hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem weit verbreiteten Vorurteil gegenzusteuern, dass Respighi sich mit dem Komponieren römischer Monumental-Klangschinken verausgabt hat und Feinsinnigem nicht zugänglich ist. Für seinen Kreuzzug zugunsten Respighis Ehrenrettung als seriöser Komponist konnte John Neschling das königlich philharmonische Orchester von Liège, kurz OPRL gewinnen. Das OPRL steht mit seinen 100 Musikern nicht gerade im Fokus europäischen Orchesterschaffens. Es kann sich jedoch rühmen, in Belgien regional und im angrenzenden Nordfrankreich überregional klassische Musikkultur auf höchstem Niveau unters Volk zu bringen. Dank dem deutsch/französischen Kultursender ARTE ist das OPRL in jüngerer Zeit auch international stärker ins Bewusstsein von Klassikfreunden getreten. Welch formidable Orchesterformation dieses zunehmend international wahrgenommene Ensemble darstellt, spiegelt sich auch im Respighi-Zyklus, der auf dem BIS-Label im Entstehen begriffen ist und selbstredend auch die bereits erschienene Trilogie umfasst.

Die Sinfonia drammatica macht ihrer Bezeichnung als dramatische Sinfonie alle Ehre: Prächtig strukturiert und dynamisch extrem angelegt, emotional aufgeladen und spannungsvoll entwirft Respighi eine farbige Sinfonienlandschaft, die den französischen Romantikern stimmungsmäßig näher steht als deutschen Romantikern, zumal die sinfonische Form eher frei gestaltet als streng verwirklicht ist. Saint-Saëns und Franck, klangfarblich aufgehübscht von Rimski-Korsakow und Richard Strauss, und die bezüglich gleißender Klangfarben nicht unähnliche, gerade einmal zwei Jahre entfernte römische Trilogie lassen in sinfonisch nach deutschen Vorbild gestraffter Gestalt grüßen. Von einem kompositorischen Plagiat kann jedoch mit der dramatischen Sinfonie keine Rede sein, findet Respighi doch seinen eigenen Weg, Themen aufzubauen, abzuändern und falls nötig abrupt zu beenden. Trotzdem scheint Respighi die sinfonische Form nicht so sehr fasziniert zu haben, dass er weitere Sinfonien geschrieben hätte. Erfreuen wir uns also an der Sinfonia drammatica als einmaligen Ausflug des italienischen Meisters ins sinfonische Fach. Schon deshalb ist es wert, diesen Ausflug zu unternehmen.

Das Genre Oper hat Respighi jedenfalls deutlich stärker interessiert als das Genre Sinfonie. Von seinen nicht weniger als zehn Opern fällt Belfagor unter die Kategorie lyrische Komödie. Neben einem Prolog, zwei Akten und einem Epilog umfasst das Werk an sich keine Ouvertüre. Die vom OPRL unter John Neshling eingespielte Ouvertüre entstand nach der Oper sowie unabhängig von dieser als selbständiges Konzertstück, das sich allerdings auf das Thema der Oper bezieht. Im Dunstkreis der Pini die Roma entstanden findet sich etliches des klanglichen Pini-Parfüms in der Ouvertüre, allerdings im fröhlichen Umfeld der lyrischen Komödie Belfagor wieder, die in Gestalt der Ouvertüre ein willkommenes Gegengewicht zur düsteren Sinfonia drammatica darstellt.

Orchester und Dirigent liefern erstklassige Arbeit ab und die Aufnahmetechnik tut das Ihrige, um diesen Download zum Vergnügen zu machen. Respighi hätte sicherlich seine Freude an der gelungenen Interpretation und dem farbenreichen, dynamischen Orchesterspiel. Auf die Fortsetzung des Respighi-Zyklus mit dem OPRL unter John Neshling darf man gespannt sein.



Orchestre Philharmonique Royal de Liege
John Neschling, Dirigent


Orchestre Philharmonique Royal de Liège & John Neschling - Respighi: Sinfonia drammatica, P. 102 & Belfagor Overture, P. 140

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