Nordischer Jazz ist ruhig, heißt es. Manchmal stimmt das, manchmal nicht. Und wenn nordisch aus drei dänischen Musikern besteht, die drei Generationen dänischer Jazz-Kunst repräsentieren? Es kommt darauf an.
Wenn einer dieser drei Palle Mikkelborg heißt, dann kann Ruhe zum Programm werden. Allerdings nicht so eine schläfrige Fahrstuhlanhaltemusik-Ruhe, sondern die mehr meditative, die entschleunigende und entführende Ruhe, die vom Alltag entkoppelt. Dazu am Schlagzeug Marilyn Mazur, deren Spiel weit mehr akzentuiert und illustriert, als dass sie einen rhythmischen Teppich unter alles zieht. Und Jakob Bro, dessen Gitarre mal mit Akkorden die Stimmung warm bettet, mal mit verzerrten Einwürfen Mikkelborg flankiert, wenn er die Dynamik anzieht und die Spannung steigert.
Strands ist ein Album, dass klanglich mitunter an freieren Jazz-Aufnahmen älteren Datums erinnert, an Enrico Rava und Jack DeJohnette zum Beispiel, perkussiv und gerupft. Und das manchmal an den Mitschnitt einer Jam-Session aus dem Übungsraum, bei der Musiker der Seele freien lauf lassen, weil niemand zuschaut. Wobei – hier hat jemand zugeschaut. Ein ganzes Orchesterpublikum füllte den Zuschauerraum des DR Koncerthuset, der Konzerthalle des dänischen Rundfunks. Denn hier wurde das Album im Februar 2023 von ECM mitgeschnitten.
Die Stücke, die das Trio um Palle Mikkelborg intoniert, sind übrigens nicht seiner Feder entsprungen, sondern der von Jakob Bro. Die Musiker haben sich für ihr Konzert im Konzerthaus bei den beiden Alben Returnings und Gefion bedient, ihre schwebende Substanz erhalten und sie mit immer neuen Einfällen dennoch ein gänzlich andere Klangfarben getaucht.
Strands (Live at the Danish Radio Concert Hall) ist mit Sicherheit eines der ruhigsten und zugleich spannendsten Alben, die dieses Jahr bieten wird, und verkörpert eine Klangreise, die man nicht versäumen sollte. (Thomas Semmler, HighResMac)
Palle Mikkelborg, Trompete, Flügelhorn
Jakob Bro, Gitarre
Marilyn Mazur, Schlagzeug