Es wird zunehmend zum Normalfall, klassische Alben unter einem Motto herauszugeben, anstatt sie unter dem oder den Komponisten zu veröffentlichen, deren Werke auf den Alben versammelt sind. Das betrifft auch auf den prominenten Jubilar Beethoven im Jahr 2020 zu, dessen Werke einem Motto untergeordnet werden, um Käufer anzulocken, die sich ansonsten nicht wieder ein weiteres Beethovenwerk zulegen möchten. Da ist es wenig verwunderlich, dass auch Interpreten auf diesen Zug aufspringen, wie etwa die einst als Wolfflüsterin vermarktete Pianistin Hélène Grimaud. Diese unbestritten großartige Künstlerin hat weiß Gott Substantielleres zu bieten als unter einem mehr oder weniger sachdienlichen Motto versteckt vermarktete Interpretationen. Daran ändert auch ihre dem Album The Messenger beigeschlossene Aussage der Pianistin nichts, die eines Mottos nicht bedarf: „Ich habe mich immer dafür interessiert, Werke so zusammenzustellen, wie man es nicht erwartet, weil ich das Gefühl habe, dass Stücke ein besonderes Licht aufeinander werfen“. Dagegen ist nichts einzuwenden, obwohl jedes Konzert und jedes Album, das etwas auf sich hält einer mehr oder weniger spannenden oder schlüssigen Zusammenstellung bedarf.
The Messenger könnte auch unter dem Namen des Komponisten daherkommen, dem dieses Album zumindest im Hinblick auf seinen gewichtigen Inhalt gewidmet ist. Die Rede ist von Amadeus Mozart, dessen unvollendete Fantasie KV 397, das berühmte Klavierkonzert KV 466 mit der Camerata Salzburg und seine Fantasie KV 475 den Kern des Albums bilden. Dazu gesellt sich ein Stück des zeitgenössischen ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, das sich als Zwiegespräch mit dem Salzburger Genie versteht und wie das Album den Titel The Messenger trägt. Ein wenig viel der Ehre für eine Reminiszenz an Mozart, auch wenn die Silvestrov-Komposition hier sowohl in der Fassung für Soloklavier als auch in einer Fassung für Streichorchester, eingespielt von der Camerata Salzburg und für Klavier erklingt. Dazu gesellen sich von Silvestrov Zwei Dialoge mit Nachwort und drei kleinere Klavierstücke mit entfernten Anklängen an Mozart, Schubert und Wagner.
Hélène Grimaud hat Valentin Silvestrov bereits seit einiger Zeit für sich entdeckt und übt sich offenbar in der Rolle , diesen Komponisten, der auch elektronisch erzeugte Klänge in seine Werke zu integrieren, in der westlichen Welt bekannter zu machen. Und das tut sie auf ihrem neuesten Album mit voll pianistischen Einsatz, dessen Energie sich auch auf das Spiel der Camerata überträgt.
Mozart steht nicht gerade häufig auf dem Spielplan der französischen Pianistin. Ihr auf The Messenger zum Ausdruck kommender Zugang zu Mozarts recht seltenen Moll-Tonarten gesetzten Kompositionen ist durch äußerste Klarheit gekennzeichnet, durch „Clarté“ französischer Art, die als Markenzeichen ihres Landsmann Robert Casadesus unvergessen ist.
The Messenger ist ein Muss für die weltweite Fangemeinde der französischen Pianistin und eine erfreuliche Neuerscheinung für alle, die von Klavierwerken des Salzburger Meisters in vorzüglicher Spielkultur keinesfalls genug bekommen können.
Helene Grimaud, Klavier
Camerata Salzburg