Musiker, die Jazz ebenso ausüben wie Klassik sind eher rar gesät. Von solchen, die beide Musikgenres gleichermaßen gut beherrschen und es gar verstehen diese miteinander zu verschmelzen gar nicht erst zu reden. Zu dieser letztgenannten seltenen Spezies gehört der in Kanada lebende und überwiegend dort aktive Pianist und Komponist Yves Léveillé. Als ausübender Musiker ist der Kanadier nicht nur solistisch tätig, sondern auch gemeinsam mit und in unterschiedlichen Ensembles, die er meist selbst zusammenstellt. Seit den 1990er Jahren hat er bis heute neun Alben produziert, die sowohl von Kritikern als auch von Musikliebhabern positiv aufgenommen worden sind und die nunmehr aktuell um das zehnte Album L'échelle du temps ergänzt worden sind. Sämtliche Alben spiegeln die hohe Kompetenz von Yves Lévillé in Sachen Jazz und Klassik. Eine gelungene Synthese aus Klassik und Jazz bietet sein letztes Album Phare, das exzellenten Post-Bop-Jazz mit einem konventionellen Klassik-Quintett zusammenbringt. Überwiegt auf Phare der Jazz, so hat auf L'échelle du temps der klassische Geist Vorrang, mit einem Streichquartett und einem Kontrabass, die Léveillé Klavier in den lyrischen Kompositionen des Albums ergänzen.
Was genau hinter L'échelle du temps steckt, und weshalb Yves Léveillé dieses Album aufgenommen hat, erklärte er jüngst so: „Ich wollte schon seit einiger Zeit ein Album für Klavier und Streicher im Geiste der Kammermusik machen. Als ich in Quebec City Musik studierte und mich auf Komposition spezialisierte, schrieb ich Werke für verschiedene Besetzungen, darunter auch für das Streichquartett. Dann wandte ich mich dem kreativen Jazz zu und ließ diesen Ansatz beiseite, um für Jazz-Ensembles zu schreiben und meine Musik zu spielen. Vor vier Jahren erhielt ich den Auftrag, die Barbara' Songs der französischen Sängerin Marie-Therese Fortin für Streichorchester zu arrangieren. Für dieses Ensemble habe ich auch ein Werk für Oboe, Klavier und Streicher geschrieben. Das gab mir den Wunsch, etwas Persönlicheres zu machen, das widerspiegelt, wo ich als Pianist und Komponist stehe und mich im zeitgenössischen Jazz weiterentwickle. Ich wollte, dass dieses Album kompromisslos ist und meinen vielfältigen Vorlieben entspricht, die von modernem Jazz und klassischer Musik bis hin zu Chanson und Weltmusik reichen. L’échelle du temps steht für die Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks, da die Sanduhr unaufhaltsam abläuft.“
Tatsächlich werden diese Ziele auf L'échelle du temps mit Originalkompositionen fulminant in die Tat umgesetzt und nehmen Stück für Stück Gestalt an. Manchmal, während die Stücke sich entwickeln, kreiert ein Spieler ganz im Sinne des Jazz seine eigene Linie, die sich harmonisch in die Vorlage einbindet. Jedes Stück enthält Variationen, fühlt sich wie eine Erkundung an und geht einen etwas anderen Weg. Diese Vorgehensweise erfordert ein starkes Miteinander der Musiker, ein gemeinsames Denken und Fühlen. Die Auswahl und Zusammenstellung der Musiker ist für diese Art von Musik von starker Bedeutung. Für L’échelle du temps ist es Yves Léveillé gelungen, virtuose Musiker auf ihren jeweiligen Instrumenten zu engagieren, von denen jeder über eine außergewöhnliche Ausdrucksfähigkeit und Sensibilität verfügt: Lizann Gervaison an der ersten Geige, Olivier Thouin an der zweiten Geige, François Vallières an der Bratsche, Émilie Girard-Charest am Cello und Étienne Lafrance am Kontrabass.
L'échelle du temps enthält einige der schönsten Verschmelzungen von klassischen und Jazz-Traditionen und Arrangements. Die Musik auf diesem Album ist persönlich und charaktervoll und erfreut sich einer ungezwungen und im wahrsten Sinne des Wortes wunderbaren Ausführung.
Yves Léveillé, Klavier
Lizann Gervais, Violine
Olivier Thouin, Violine
François Vallières, Viola
Émilie Girard-Charest, Cello
Etienne Lafrance, Kontrabass