Ob es nun ein Höheres Wesen gibt, oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls gibt es Situationen, in denen man mangels vernünftiger Erklärung glaubt, nicht umhin zu kommen, dieses zu bemühen. Die Existenz eines Mozart oder eines Schubert gehört dazu, die Musik in einer zutiefst anrührenden Art, und das im Falle eines Mozart außerdem in geradezu unheimlicher Menge druckreif zu Papier gebracht, geschaffen haben, die uns gewöhnliche Sterbliche sprachlos zurücklässt. Dazu gehören auch Interpreten, wie etwa Fritz Wunderlich, der Vielen als der lyrische Tenor des zwanzigsten Jahrhunderts gilt. Was übrigens Mozart, Schubert und Wunderlich abgesehen von Ihren außerordentlichen Fähigkeiten verbindet ist, dass das Höhere Wesen ihnen wenig Zeit gelassen hat, Ihre Kunst auszuüben. So wurde Mozart 35, Schubert gerade einmal 31 und Wunderlich 36 Jahre alt.
Wir als staunendes Publikum sehen es gerne, wenn diese außergewöhnlichen Künstler ihre kurze Karriere als Wunderkinder, möglichst im Krabbelalter gestartet haben. Für Wolfgang Amadeus Mozart, dessen musikalische Frühreife vom Vater weidlich finanziell ausgebeutet wurde, trifft dies geradezu beispielhaft zu. Für Schubert weniger. Und für Fritz Wunderlich gar nicht. Vielmehr bestand seine „wundersame“ Kindheit darin, bereits recht früh den Unterhalt seiner Familie in der regionalen Tanzmusikszene mitverdienen zu dürfen. Vom frühreif begnadeten Sänger war jedoch keine Rede. Und danach sah es auch nicht aus, als er an der Freiburger Musikhochschule das Horn- und später zusätzlich das Gesangstudium aufnahm. Irgendwann allerdings muss das Höhere Wesen ein Einsehen gehabt haben, wurde doch der frisch an die Württembergische Staatsoper verpflichtete fünfundzwanzigjährige Tenor als Einspringer in der Rolle des Tamino gewissermaßen über Nacht zum Star mit sternengleicher Laufbahn, die nach elf Jahren im Unfalltod jäh ihr Ende fand.
Was man dabei gerne übersieht: Sängerstars werden nicht über Nacht geboren, und sie leuchten nicht so ohne Weiteres über längere Zeit. Und schon gar nicht Stars vom Kaliber eines Fritz Wunderlich. Unablässige harte Arbeit am Stimmmaterial, gnadenlose Selbstkritik, die richtige Wahl des Gesangslehrers und die vorsichtige Steuerung der Karriere sind unabdingbare Voraussetzung, dass der Stern aufgeht und lange leuchtet. Nur der Wille zur gnadenlosen Selbstkritik hat uns den begnadeten Liedsänger Fritz Wunderlich beschert. Als der gefeierte Opernstar mit seinem arg im Opernstil absolvierten ersten Liederabend vor Münchner Publikum Schiffbruch erlitt, nahm er dies zutiefst frustriert zum Anlass, den Gesangspädagogen Hubert Giesen um professionellen Rat anzugehen und in monatelanger harter Arbeit mit diesem – seinem zukünftigen Klavierbegleiter – dafür zu sorgen, dass es künftig neben dem einzigartigen Opernsänger einen nicht weniger einzigartigen Liedsänger Fritz Wunderlich gab. Das allerdings hat zwar das Publikum des Tenors begeistert, nicht jedoch das Höhere Wesen, das den Tenor gerade einmal drei Monate nach der Aufnahme des Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ vom irdischen Tun abzog.
Was uns Irdischen von Fritz Wunderlich zum Glück im Unglück bleibt, sind zahlreiche Aufnahmen seiner unvergleichlichen Gesangskunst neben Film- und Videomaterial, auf dem auch sein schauspielerisches Talent zu bewundern ist, wie etwa in Rossinis Barbier von Sevilla, einer auf DVD verfügbaren Life-Aufnahme aus dem Münchner Prinzregententheater aus dem Jahr 1959, auf der er zusammen mit seinem Freund, dem Bariton Hermann Prey zu sängerischer und schauspielerischer Höchstform aufläuft. Und dann gibt es natürlich die jetzt auch als Download verfügbare, frisch wie am ersten Tag tönende, nahezu ohne Schnitte entstandene Aufnahme der Schönen Müllerin mit Hubert Giesen, die selbst im Lichte so mancher zwischenzeitlich entstandener Aufnahme kompetenter Tenöre konkurrenzlos als letztes Zeugnis der Liedkunst Fritz Wunderlichs Bestand hat.
Fritz Wunderlich, Tenor
Hubert Giesen, Klavier
Digitally remastered
Zur Info: wir bieten dieses Album in der nativen Abtastrate von 48 kHz, 24-Bit an. Die uns zur Verfügung gestellte 96 kHz-Version wurde hochgerechnet und bietet keinen hörbaren Mehrwert!