Dear World - Hikikomori Enders Room
Album Info
Album Veröffentlichung:
2020
HRA-Veröffentlichung:
27.03.2020
Das Album enthält Albumcover
- 1 Animale Illegale 05:59
- 2 No Judgement Day 05:08
- 3 Minimal Response 1 01:08
- 4 Good Bye Waltz 03:53
- 5 Minimal Response 2 01:24
- 6 Dearworld 06:45
- 7 Minimal Response 3 01:50
- 8 Meta Comet 07:46
- 9 In No Books 03:44
- 10 Minimal Response 4 01:39
- 11 Alienroomates 05:07
- 12 Meta Comet Dance 01:26
- 13 The Old Promise 06:01
- 14 Flash Na Firinn 05:36
- 15 Visiones 11:58
- 16 Good Bye Waltz (Acoustic Version) 03:46
- 17 Hikikomori 07:37
- 18 Good Loser 03:00
- 19 Hikikomori Ballade 01:51
- 20 Reconciliation 04:47
- 21 Tember 04:14
- 22 Good Loser Reprise 01:52
Info zu Dear World - Hikikomori
Einfacher wäre es mit Texten. Ein Gedicht zum Beispiel oder ein Fragenkatalog, Möglichkeiten, der Realität mit der Klarheit des Wortes auf die Schliche zu kommen. Musik hingegen ist uneindeutiger, Chance und Herausforderung zugleich. Man kann ein Stück »Dear World« nennen, in der Hoffnung, der Hörer würde darin ebenso wie der Künstler eine Botschaft an die Welt entdecken, eine Entschuldigung vielleicht oder eine Aufforderung, sich selbst verantwortlich zu fühlen. Ob sie verstanden wird, bleibt jedoch offen, vor allem wenn man wie Johannes Enders bereits ein fortgeschrittenes System der musikalischen Kodierung entwickelt hat, das die eigenen Gefühlslagen und Erkenntnisse in Klang umsetzt. Mal beschäftigt er sich mit einem Abbauprodukt des Blutfarbstoffes im Anschluss an eine gefährliche Stoffwechselstörung, mal mit Glückshormonen, ohne die die positive Wahrnehmung zu einem grauen Schleier emotionalen Einerleis entfärben würde. Kein Problem für den beschreibenden Geist, aber eine echte Aufgabe, wenn man ohne verbale oder optische Hilfsmittel agieren will.
Das Phänomen »Hikikomori« ist auch so ein Fall. Es steht in Japan für Menschen, die schrittweise den Kontakt zur Außenwelt abbrechen und sich in einen Kokon des Selbstbezugs zurückziehen. Sie bleiben nicht nur in ihren Zimmern für sich allein, sondern isolieren damit auch ihre Umwelt von den Ritualen des Alltags. Denn der Aufstand durch Entzug trifft eine Gesellschaft, die auf klaren, ehernen Verhaltensregeln aufbaut, mehr als offensiver Protest. Er markiert die Überflüssigkeit des großen Zusammenhangs und der überlieferten Werte zugunsten eines selbstgewählten Autismus und ist damit eine sehr japanische Art, der Welt den Spiegel vorzuhalten. Für Johannes Enders wiederum ist es ein vielfältiges sematisches Feld, das nach einer Einkreisung verlangt. Als Medium der Annäherung wählt er Enders Room, ein Laboratorium langjähriger Weggefährten, denen er die Möglichkeiten der musikalischen Umsetzung nicht mehr erklären muss. Sie kennen ihn als Skeptiker und Hymniker, als Querdenker und Moderator der Gegensätze. Als einen der reflektiertesten Saxophonisten seiner Generation.
Denn darum geht es bei »Hikikomori«. Formal testet Johannes Enders die Möglichkeiten zeitgemäßen Arrangierens, der Dramaturgie von Spannungsbögen und auch der Stringenz fortlaufender musikalischer Bewegungen und Umwandlungen. Es stellt Modelle gegenüber, den »Electric Room«, den er im Kern allein produziert und nur stellenweise durch die Kollegen hat verändern lassen, und den »Acoustic Room«, der Motive aufnimmt, weiterführt und das Synthetische sich im Analogen und Naturklingenden auflösen lässt.
Damit schließt sich auch der Kreis zu demnächst eher kryptisch wirkenden Titelthema. Denn musikalisch gesehen lässt Johannes Enders die vor allem durch die Komplexität des Künstlichen empfundene Bedrohung des Individuums in der Natürlichkeit des Klangs aufgehen. Die Gleichung ist einfach: Je mehr analoge, akustische, individuelle Kraft, desto mehr Jazz, wie ihn Johannes Enders meint. Das funktioniert auch ohne Worte.
Johannes Enders, Saxophon, Flöte, Klarinette, Percussion, Fender Rhondes, Programming
Bastian Stein, Trompete
Jean-Paul Brodbeck, Klavier
Karl Ivar Refseth, Vibraphon
Wolfgang Zwiauer, E-Synthesizer, Bass
Gregor Hilbe, Schlagzeug, Percussion
Paula Enders, Gesang (Tracks 1, 7)
Johannes Enders
zählt weit über die Grenzen Deutschlands hinaus zu den wohl produktivsten und experimentierfreudigsten Tenorsaxophonisten seiner Generation. Der Zwei-Meter-Mann aus Weilheim, der in München, Graz und New York studierte, ist ein umtriebiger kreativer Geist, dessen immenser künstlerischer Output voller Überraschungen steckt. Dafür wurde er in den letzten Jahren mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Kulturförderpreis der Stadt München,dem SWR Jazz Preis, dem Neuen Deutschen Jazzpreis, dem Deutschen Musikautorenpreis, dem dem Echo Jazz.
Neben dem Betreiben seiner eigenen Projekten Enders Room, Enders Dome und seinem Saxophon Quartett ZeitGeistMaschine war und ist er ein vielbeschäftigter Sideman in so unterschiedlichen Bands und mit so unterschiedlichen Musikern wie Billy Hart, Nils Petter Molvaer, Milt Hinton, Donald Byrd, Lee Konitz, Joe Lovano, Don Friedman, The Notwist, Jerry Bergonzi, Franco Ambrosetti, Günter Baby Sommer, Karl Ratzer, u.v.a.
Seine große Liebe gilt aber vor Allem seinem akustischen Quartett mit dem Schweizer Pianisten Jean-Paul Brodbeck, dem in Berlin lebenden britischen Kontrabass Wizzard Phil Donkin und dem US amerikanischen Schlagzeuger Howard Curtis , die er auch auf seinem neuen Album Endorphin für ENJA Records um sich geschart hat. In Enders Eigenkompositionen sind hier Bass, Piano,Saxophon und Schlagzeug mit viel Feingefühl um die Melodien verwoben; stets streben die Musiker nach stringenten Harmonien und spielen in einem kontinuierlichen Flow. Das Johannes Enders Quartett spielt so klassisch wie zeitlos modern; trotz gegensätzlichsten Einflüssen liegt der Fokus aber immer auf Melodie, Dynamik und Groove.
Dieses Album enthält kein Booklet