Vor zwei Jahren traf der zarte 84 Jahre alte Jazzpianist Ahmad Jamal in Paris auf den zehn Jahre älteren Yusef Lateef zu einem gemeinsamen Live-Konzert, bevor dieser anderthalb Jahre später in den Himmel der Jazzbläser einging, wo er sicherlich auf Miles Davis, den nicht weniger jazzverrückten Trompeter getroffen ist, von dem überliefert ist, dass er vom Pianisten Jamal die allergrößte Hochachtung hatte. Was die beiden Oldies Jamal und Lateef verband, war nicht nur der mit einer Namensänderung besiegelte Übertritt zum Islam, sondern ihre Vorliebe für Außergewöhnliches.
Außergewöhnlich war an Yusef Lateef zum einen seine Leidenschaft für afrikanische, orientalische und fernöstliche Musikwelten, die seinen Jazz nachhaltig prägte und ihn zum Mitbegründer des Ethnojazz machte. Zum anderen blies der Doktor der Philosophie in alles, was ihm an Holzinstrumenten über den Weg lief, vom Tenorsaxofon über das Altsaxofon, die Flöte und sogar die im Jazz eigentlich nicht vorkommende Oboe, von zahlreichen Selbstbauten ganz abgesehen, zu denen ihn der Erfindungsreichtum afrikanischer Instrumentenvielfalt inspirierte. Sein Flöten- und Oboenspiel verfeinerte er technisch an amerikanischen Musikhochschulen, einschließlich einem regelrechten Abschluss in diesen Disziplinen und der Philosophie. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Tausendsassa Lateef auch außerhalb des Jazz aktiv, beispielsweise New Age Experimenten nicht abgeneigt war und seine Zeitgenossen mit in den USA ebenso wie in Europa aufgeführten Kompositionen für größere Ensembles, einschließlich Sinfonieorchester beeindruckte.
Die enorm ungewöhnliche Vielseitigkeit des Yusef Lateef findet ihre künstlerische Ergänzung im nuancierten Klavierspiel des Ahmad Jamal, der bereits mit vier Jahren seinen Weg ans Klavier gefunden hat, und der seine Virtuosität als geballten Energiespeicher meist im Hintergrund hält. Dies hat er in seinen frühen Jahren bei der Zusammenarbeit mit den Jazzgrößen seiner Zeit verinnerlicht, als der Mann am Klavier mehr Begleiter denn Solist war. Später hat er daraus seine eigene Art des auf das Wesentliche beschränkten solistischen Klavierspiels entwickelt und damit schon früh in seinem eigenen Trio in den fünfziger Jahren dem Klavierjazz und Kollegen wie Julian Cannonball Adderley, John Coltrane und Gil Evans den Weg gewiesen. In den siebziger Jahren wandelte er sich zum prominenten Fusionmusiker und in den achtziger Jahren gelang es ihm, seine Jazzinnovationen mit der Folge geschickt mit Pop zu vermischen, dass er es in den Pop-Charts der USA bis auf den dritten Platz brachte. Dass Jazzmusik-Kritiker das nicht gerne sahen und ihn dafür mit Nichtbeachtung straften, ließ Ahmad Jamal keineswegs verzagen. Im Gegenteil. Seinem Standing bei Pop- ebenso wie Jazz-Fans war diese Kritikermeinung nie ernsthaft abträglich.
„Live at the Olympia“ ist der auch im Bild auf DVD festgehaltene und ausgesprochen sehenswerte komplette Mitschnitt des vierten Konzertauftritts Jamals in der französischen Metropole, der nach schlagzeug- stark schwungvollen, klavierdominiert melodiösen Titeln im Auftritt des mit Tenorsax und Flöte bewaffneten und eigenen Gesang beisteuernden Yusef Lateef gipfelt, der beginnend mit dem zeitlich ausufernden Titel „Exatogi“ die vorausgehende von wechselnden Rhythmen vorangetriebene, spannende Jam-Session, zwischen Tenorsaxofon und Flöte hin- und herwechselnd, in eine in sich ruhende, von afrikanischen Rhythmen sanft durchwirkte Meditation verwandelt, die das gerade noch im Weltlichen geerdete Publikum nachhaltig in eine spirituelle Welt versetzt, in der spätestens mit dem finalen zarten Einwurf der leise intonierenden, ihr Lied wortwörtlich jammernd zu Ende bringenden Flöte Ruhe oberstes Gebot ist. Aus den Tiefen des schon fast depressiven Stimmungstals führt uns Jamal im sich anschließenden „Masara“ mit seinem lebensbejahend vorwärtsdrängenden Klavierspiel heraus, das sich dem fortdauernden Klagen der Flöte erfolgreich widersetzt und diese motiviert melodisch und mit vollerem Ton zumindest vorläufig in lichtere Sphären aufzusteigen. Den Blues Standard „Trouble in Mind“ gestalten Jamal und Lateef gemeinsam – letzterer mit dem Titel gemäß zunächst sinister geführter, brüchiger, schließlich aber drohend anschwellender Stimme.
Ein Szenario, das an die letzte Bootsfahrt der Seele auf dem Acheron in den Hades erinnert. Das nachfolgende „Brother Hold your Light“ tönt dann wie das kurze, aber nichtsdestotrotz schaurige Willkommenslied Hades‘, des griechischen Gottes des Todes für die verstorbene Seele.
Aus diesem beeindruckend gestalteten, aber unvermeidlich depressiven Jammertal reißt uns dann gottseidank Jamal mit seinem diesseits orientierten Quartett, der das schon leicht depressive gewordene Publikum mit den beiden Zugaben sicher in das positive Hier und Jetzt zurück geleitet und für gute Stimmung sorgt, für die sich das Publikum mit heftigem Applaus erleichtert bedankt.
„Live at the Olympia“ ist das Zusammentreffen zweier recht gegensätzlich gestimmter, auf ihrem Lebenspfad weit gereister Musiker, die gemeinsam mit einem aufgeschlossenen Publikum ein Konzertabenteuer durchleben, das von Stimmungswechselbädern gekennzeichnet ist, die man so nicht wieder erleben kann, zumal der eine der beiden großen Jazzmusiker, Yusef Lateef, seither seine Flöte, sein Saxophon seine Oboe und seine zahlreichen selbstgebauten Blasinstrumente endgültig an Hades übergeben hat.
Gehört haben wir diesen 44,1 kHz 24 Bit FLAC Download in einem akustisch optimierten Hörraum über Lautsprecher REVEL Gem2/B15a, angesteuert von einem custom-made PWM-Digitalverstärker, dessen elektrischer SPDIF-Eingang mit den Daten des Downloads über einen Audiorechner versorgt wird.
Spektrogramm
Abtastrate 44,1 kHz: verifiziert
Abtastbreite 24 Bit: in Ordnung
Kommentar:
Technisch mögliches Spektrum voll ausgenutzt.