Es muss nicht immer Vivaldi sein, um uns in die musikalisch in die Zeit des Barock zu versetzen. Ein weiterer Großmeister dieser Zeit, Arcangelo Corelli hat ebenfalls Kompositionen hinterlassen, die in ganz anderer Art als Vivaldi von der Schönheit der Musik des Barock künden.
Es müssen auch nicht stets die hinlänglich hochqualifizierten historisch orientierten Ensembles Europas sein, wenn es darum geht alte Meister, wie auf dem vorliegenden Corelli-Album überzeugend zum Klingen zu bringen. In unserem Fall sind es 21 Musiker aus dem australischen Melbourne, die sich 2017 zusammengeschlossen haben und unter Genesis Baroque formieren, um die Musikszene des Barock in aller Frische wiederzubeleben. Dieses Spezialitätenorchester umfasst 20 Streichinstrumente historischer Bauart und ein einziges Blasinstrument, das den Orchestersound abrundet. Künstlerische Leiterin und Konzertmeisterin des Kammer-Ensembles, das mit dem soeben erschienenen Corelli-Album seine erste Studioaufnahme vorlegt, ist die unter anderen bei Sigiswald Kuijken am königlichen Konservatorium in Den Haag ausgebildete Geigerin Lucinda Moon. Überaus elegant in der Darstellung des Melodienverlaufs mit weit ausholender Dynamik, delikater Farbgebung und traumhaft leichtfüßigem Spielwitz wird hier die Klangwelt Corellis glaubhaft in die Gegenwart übertragen. Das ist historisch orientierte Spielpraxis 2.0 vom Feinsten, die sich von der unter anderen von Nikolaus Harnoncourt geprägten, vergleichsweise hemdärmeligen historischen Spielpraxis der frühen sechziger Jahre durch einen besagten eleganten Ansatz unterscheidet, der von Genesis Baroque in Reinkultur dargeboten wird. Corelli kommt diese Eleganz der Darstellung des musikalischen Geschehens geradezu kongenial zugute, zeichnen sich seine Kompositionen doch durch eine intime Eleganz aus, wie sich typisch für den italienischen Barock und speziell kennzeichnend für Corellis 12 Concerti Grossi Opus 6 ist.
Corelli wurde 1653 in Fusignano, einem kleinen Ort in heutigen Provinz Ravenna geboren und verstarb 1713im Alter von 59 Jahren. Corellis Werke hatten weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Kammermusik, der Kirchen- und Kammersonate sowie der maßgeblich von Corelli mitentwickelten Gattung des Concerto grosso. Sein virtuoser Musizierstil wurde zur Grundlage der modernen Violintechnik des 18. und 19. Jahrhunderts und beeinflusste zahlreiche Komponisten. Ein Highlight seiner Kompositionen, das ein ganze Generation nachfolgender Komponisten, wie etwa Händel zu eigenen Werken dieser Gattung anregten sind die Concerti Grossi, die posthum in gedruckter Form veröffentlicht wurden, die der Komponist an seinem Lebensabend jedoch häufig zur Aufführung brachte. Nebenbei bemerkenswert ist die Tatsache, dass Corelli nach Aussagen von Zeitgenossen seine Concerti Grossi in für damalige Zeiten großer Orchesterbesetzung aufführte. Die Rede ist von bis zu vierzig Musikern, mithin einer Orchestergröße, die die heute übliche Besetzung von historisch orientierten Orchestern weit übertrifft. Das australische Ensemble Genesis Baroque, das in der originalen reinen Streicherbesetzung der Concerti Grossi aufspielt, umfasst gerade einmal halb so viele Musiker wie sie Corelli seinerzeit zur Wiedergabe dieser Werke einsetzte. Soweit man das aus dem Album der Australier ohne jeglichen Vergleich zur Zeit Corellis erkennen kann, tut dies der Gesamtwirkung der Concerti Grossi keinen Abbruch. Im Gegenteil, erweisen sich doch kleinere Besetzungen immer wieder als großen Besetzungen überlegen. Man denke hier nur an die im Beethovenjahr 2020 mit überraschender Wirkung, und neue Einsichten in Sinfonien des Jubilars bietenden Minimalbesetzungen.
Mit ihrem Debutalbum demonstriert das noch junge Ensemble Genesis Baroque, dass auch im fernen Australien auf einem Niveau musiziert wird, das sich hinter dem Niveau europäischer Orchester historisierender Spielweise nicht zu verstecken braucht.
Sophie Gent, Violine Lucinda Moon, Violine Genesis Baroque