Genau genommen ist der klassische Konzertbetrieb, wie er sich im 21. Jahrhundert präsentiert, vorrangig ein kapitalistisches Wirtschaftsunternehmen, in dem die Nachfrage das Angebot bestimmt. Dies führt weltweit zu einer Produktion, wenn nicht gar zu einer Überproduktion junger Künstler, die regelmäßig vor Erreichen künstlerischer Reife, wenn sie Glück haben, in Ausbildungsstätten entsorgt werden, um der Nachfrage gehorchend noch mehr Newcomer mit knappem Ablaufdatum zu produzieren. Die Fließbandproduktion klassische Musik ausübender Künstler bringt es mit sich, dass der Oberflächenglanz ihrer Produkte an Strahlkraft in Gestalt zunehmender technischer Perfektion der Darbietungen zulegt. Dies gilt zumindest für Instrumentalisten, die Instrumentalisten früherer Generationen in technischer Hinsicht nicht selten überlegen, im Hinblick auf den musikalischen Gehalt Ihrer Darbietungen diesen jedoch regelmäßig weit unterlegen sind. Als Motor dieser Situation erweisen sich die unzähligen Wettbewerbe, die weniger nervenstarke, womöglich musikalisch talentierte junge Künstler aussortieren und prima vermarktbares technisches Können musikalischen Werten vorziehen. Da die Juroren zunehmend aus der nach dieser Maßgabe ausgebildeten Künstlern rekrutiert werden, dürfte sich daran so schnell auch nichts ändern. Dazu kommt, dass die klassische Musik hörende junge Generation mangels Alternativen den musikalischen Leerlauf auf technischen Glanz reduzierten Musizierens genauso als Normalfall betrachtet, wie heutzutage mies gebackene Brezeln von Backfabriken ebenso wie von Bäckern als schmackhaft goutiert werden, obwohl diese mit echtem Brezelgenuss nicht das Geringste zu tun haben.
Wunderbarer Weise gibt es in all diesem Elend Ausnahmetalente wie den noch keine zwanzig Jahre alten schwedischen Geiger Johan Dalene, der eine Wunderkindkarriere hinter sich, wie sie im Bilderbuch steht: mit vier Jahren griff er erstmals zur Geige, um drei Jahre später sein erstes Konzert zu geben. In darauffolgenden unzähligen Wettbewerben zeigte er der Konkurrenz wo spieltechnisch der Hammer hängt. Und offenbar haben ihm die Wettbewerbe nicht geschadet, hat er dabei doch an Souveränität gewonnen, die es ihm gestattet sich ganz dem musikalischen Inhalt zu widmen. Beeindruckend nachvollziehbar ist dies anhand der TV-Aufzeichnung des Abschlusskonzerts des Carl Nielsen Competition 2019, den er als Erster gewonnen hat, und das man auf seiner Website und in besserer technischer Qualität auf www.medici-tv (kostenfrei) anschauen und anhören kann. Zur Aufführung kam das Violinkonzert von Tschaikowski, das mit anderem Orchester und Dirigenten auch Gegenstand seines aktuellen Albums Tchaikovsky & Barber ist. Die TV-Aufnahme vermittelt auch optisch eindrücklich, was das Album lediglich akustisch darzustellen vermag: einen bei aller Jugend fertigen Künstler, für den technisch hochkarätiges Spiel eine Selbstverständlichkeit darstellt, die dazu dient, musikalischen Inhalt überzeugend zu transportieren und neu zu erzählen. Dies trifft auch auf das Barber-Konzert des Albums zu, bei dem das auch hier überaus elegante Spiel des Geigers sprachlos macht.
Im Fall von Daniel Blendulf trifft der heutzutage beinahe zu Tode gerittene Begriff eines “Ausnahmekünstlers” tatsächlich zu, wenn man darunter einen perfekten Künstler versteht, der nach überbrachtem Verständnis nicht nur technisch zu brillieren vermag, sondern vorrangig die Seele berührende Musik vermittelt.
Johan Dalene, Violine
Norrköping Symphony Orchestra
Daniel Blendulf, Dirigent