Ein Hauch zentraleuropäischer Geschichte, Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umweht das Album Bohemia Tales. In Folge des Nachkriegsgeschehen mit seinen schrecklichen Vertreibungen wurde ein ganzes Sinfonieorchester vom Osten in den Westen verpflanzt. Die Rede ist von den Bamberger Sinfonikern, die in Prag als Deutsches Sinfonieorchester tätig und nach 1945 dort nicht mehr geduldet waren. Ein derart kompletter, unfreiwilliger Orchester-Exodus ist selbst in Folge von Kriegswirren nicht an der Tagesordnung. Auch nicht, dass eine mittelgroße Stadt, in diesem Fall Bamberg, den Sinfonikern aus Prag als Bamberger Sinfoniker eine neue Heimstadt anbot. Für die Stadt und das ganze Land erwies sich als Glücksfall, gilt das heutige Staatsorchester doch als eines der Spitzenensembles des ganzen Landes, das von der Kunst der Bamberger in den fünfziger und sechziger Jahren profitierte, als das Orchester auch kleinere Orte mit Konzerten sinfonischer Musik versorgte. Und zum guten Ende kommt der junge Chefdirigent des Ensembles aktuell aus Tschechien. ist es in kurzer Zeit gelungen, böhmische Klangkultur mit dem speziellen schlanken Klang des Orchesters zu verschmelzen. Auf Bohemian Tales steht ihm allerdings das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks zur Verfügung, das in seiner DNA böhmische Gene trägt, die ihm der Tscheche Rafael Kubelik in seiner Zeit als Chefdirigent nachhaltig implantiert hat, und deren Existenz das Orchester unter der Leitung von Jakub Hrůša nun wiederentdeckt hat. Und das mit Musikern, die von Kubeliks Wirken zeitlich meilenweit entfernt und seitdem komplett andere Gene hinzugewonnen haben, die mit den böhmischen nichts gemein haben.
Der Solist des böhmischen Komponisten gewidmeten Albums ist der 46-jährige Geiger Augustin Hadelich mit deutscher und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, der sich in den letzten Jahren als ganz besonderer, warmherziger Musiker einen Namen gemacht hat. Diese heutzutage recht seltene Eigenschaft erweist sich in Sachen des Violinkonzerts von Antonín Dvořák als idealer Zugang zu dieser zutiefst böhmisch romantischen Musik, die ob Ihrer ganz natürlich wirkenden Schönheit genauso gefangen nimmt, wie das in Konzertsälen deutlich häufiger vertretende Cellokonzert Dvořáks. Die Kommunikation zwischen Solist und Orchester/Dirigent lässt hier nichts zu wünschen übrig. Selbst der Ikone der Interpretation des Violinkonzerts, Nathan Milstein dürfte es gefallen haben, dass hier neben seinem eigen Stern ein neuer Stern am Firmament herausragender Interpretationen aufscheint, der ebenso hell leuchtet wie sein eigener. Bohemian Tales ist schon alleine wegen der ungewöhnlich schlüssigen Interpretation dieses Konzerts klar ein Must Have.
Bohemian Tales glänzt neben dem Violinkonzert Antonín Dvořáks mit kammermusikalischen Kompositionen des Böhmen sowie seiner Landsleute Leoš Janáček und Josef Suk. Als kompetenter Partner steht hier der Pianist Charles Owen dem Geiger Augustin Hadelich zur Seite, der sich im Booklet zu Bohemian Tales zu seiner kammermusikalischen Seite ausführt: „Das sind Stücke, die sehr mitreißend sind und deswegen viel Freude machen beim Spielen, weil ich beim Spielen total von den Charakteren und den Emotionen dieser Stücke ergriffen werde. Alle drei Komponisten haben gemeinsam, dass sie sehr von der Volksmusik ihres Landes beeinflusst waren, jeder auf seine Weise. Auch wenn Dvořák und Janáček total gegensätzlich sind, hat diese Musik doch ihren gemeinsamen Ursprung in der Volksmusik.“ Genau diese Verbundenheit der böhmischen Komponisten mit der Volksmusik erschließt über das Album Bohemian Tales ganz natürlich und herrlich entspannt.
Augustin Hadelich, Violine
Charles Owen, Klavier
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Jakub Hruša, Dirigent